Fahruntüchtigkeit

und der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung

Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist gegenüber betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens davon auszugehen ist, dass der Versicherte, hätte er nicht unter Alkoholeinfluss gestanden, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre.

 

Absolute Fahruntüchtigkeit

Bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille (sog. absolute Fahruntüchtigkeit) oder mehr wird die Alkoholeinwirkung als rechtlich wesentliche Ursache für den eingetretenen Verkehrsunfall angesehen (sogenannter Beweis des ersten Anscheins).

Das bedeutet, dass jemand unabhängig von sonstigen Beweiszeichen ( also i.S. einer unwiderleglichen Vermutung) fahruntüchtig ist, wenn bei ihm eine BAK von mindestens 1,1 o/oo vorlag (vgl. BSG Urteil vom 25.11.1992, Az 2 RU 40/91 = HV INFO 1993, 305ff in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.06.1990, BGHSt 37, 89, 94; BSG Urteil vom 23.09.1997, Az 2 RU 40/96 = SGb 1998, 600ff = HV INFO 97, 2841ff). Denn die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit ist die allein wesentliche Ursache für dieses zum Unfall führende Verhalten geworden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 30.06.1960 = BSGE 12, 242, 245 = NJW 1960, 1636: BSGE 18, 101 = SozR Nr 58 zu § 542 RVO; BSGE 38, 127; 45, 285, 286; 48, 228, 229; Urteile vom 31.03.1981, Az 2 BU 73/79, und 25.01.1983, Az 2 RU 35/82; BSGE 59, 193, 195f; Urteil vom 25.09.1992, Az 2 RU 40/91 = HV INFO 1993, 305ff; Beschluss vom 02.03.1993, Az 2 BU 214/92; Urteil vom 23.09.1997, Az 2 RU 40/96 = SGb 98, 600ff) schließt alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wenn sie die betrieblichen Umstände derart in den Hintergrund drängt, dass sie als rechtlich (also allein) wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (Brackmann/Krasney/ Burchardt/Wiester. Handbuch der Sozialversicherung Bd 3. Gesetzliche Unfallversicherung. 12. Aufl. § 8 RdNr 345 mwN). Damit wird der Gefährlichkeit des Alkohols als berauschendes Mittel und den damit im Straßenverkehr verbundenen Auswirkungen Rechnung getragen. Das allgemeine Risiko der Teilnahme am Straßenverkehr wird nämlich durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erheblich vergrößert.

Der Anlass für den Konsum ist dabei unerheblich. Auch Alkoholkonsum aus verständlichen oder nachvollziehbaren Gründen lässt den Versicherungsschutz entfallen (BSGE 59, 193, 196).

Ein extremes Missverhältnis von Risiko und Nutzen ist eine typische Erscheinungsform alkoholbedingten Verhaltens, weil durch den Alkoholgenuss die realistische Einschätzung einer Gefahr erschwert und die Risikobereitschaft erhöht wird (vgl. BGHSt 13, 83, 90).

 

Wenn keine Ursachen der Verkehrsgefahr positiv festzustellen sind, aber die erhebliche Alkoholeinwirkung feststeht:

Bundessozialgericht  B 2 U 19/11 R  13.11.2012  sozialgerichtsbarkeit.de

"... Nach den Feststellungen des LSG fehlt es an Tatsachen, die das Abkommen des Versicherten von der Straße als Realisierung einer Verkehrsgefahr qualifizieren. Ein technisches Versagen, widrige Straßenverhältnisse oder andere äußere Einflüsse auf die Fahrt lagen nicht vor. Damit lässt sich der Eintritt eines vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung erfassten Risikos nicht positiv feststellen. ...

...Das Trinken von Alkohol ist jedoch grundsätzlich eine unversicherte Tätigkeit, die keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt und deshalb den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz schlechthin nicht zu begründen vermag. Dass der Alkoholkonsum Bestandteil der um 22.02 Uhr beendeten Verrichtung der Beschäftigung (und deshalb unter Umständen versichert) gewesen wäre, hat das LSG nicht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich. Eine Verkehrsgefahr, die sich erst und allein aus der unversicherten Tätigkeit des Alkoholgenusses ergibt, eröffnet schon nicht den Schutz der Wegeunfallversicherung. Der Alkoholkonsum des Versicherten eröffnete vielmehr einen versicherungsfremden Gefahrenbereich, der allein mit dem Zurücklegen des Weges im Pkw nicht gegeben war und damit vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung nicht erfasst ist.

Da die Einwirkung auf den Versicherten nicht auf einer dem Schutzbereich der Wegeunfallversicherung unterfallenden, sich aus dem versicherten Zurücklegen des Weges ergebenden Gefahrenquelle beruht, ist schon deshalb für die rechtliche Zurechnung der Einwirkung auf den Versicherten zur versicherten Verrichtung kein Raum. Aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, dass der nicht alkoholkranke Versicherte absolut fahruntüchtig war und das Fahren im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit als unversicherte Mitursache gegebenenfalls die Zurechnung der verwirklichten Gefahr zur versicherten Wirkursache ausschließt (zu einigen Problemen der Alkoholfahrt vgl Sandbiller, Alkoholkonsum und Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Wegeunfällen, SGb 2012, 576 f). Daher kann ferner offenbleiben, ob die im Hinblick auf die vom LSG festgestellte BAK von 2,2 ‰ erhobenen Verfahrensrügen zulässig und begründet sind..."

 

relative Fahruntüchtigkeit

Eine relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration unterhalb von 1,1 Promille liegt, aber auf Grund zusätzlicher Tatsachen von einer alkoholbedingten Beeinträchtigung der Fähigkeit, am Straßenverkehr teilnehmen zu können, ausgegangen werden muss (BGHSt 31, 42). Im Interesse der Rechtseinheit und Rechtssicherheit gilt für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung das Gleiche (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 1998 - B 2 U 2/97 R - zur absoluten Fahruntüchtigkeit).

Als alkoholtypisch sind grundsätzlich (nur) solche Verhaltensweisen zu bewerten, die sich nur durch den Alkohol erklären lassen, die bei unter Alkoholeinfluss fahrenden Personen wesentlich öfter vorkommen als gewöhnlich. Allein ein Fehlverhalten, ein Fahrfehler oder Verstöße gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung lassen den zwingenden Schluss auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht zu. Nicht alkoholtypisch sind Verhaltensweisen, die, wenn auch objektiv fehlerhaft, bei einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern in vergleichbaren Situationen vorkommen können. Als alkoholtypische Beweisanzeichen hat das BSG angesehen die Fahrweise des Betroffenen wie überhöhte Geschwindigkeit, Fahren in Schlangenlinien, plötzliches Bremsen oder wie das LSG Berlin im Urteil vom 18.01.2001 - Az.: L 3 U 121/99 - ausführt: Missachten von Vorfahrtszeichen oder roter Ampel oder das Überqueren einer größeren Kreuzung ohne Reduzierung der Geschwindigkeit.

Die typischen Ausfallserscheinungen müssen zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Annahmen und Vermutungen reichen ebenso wie die bloße Wahrscheinlichkeit nicht aus (BSGE 35, 216, 218; BSG SozR 2200 § 550 Nr.29).

Auffahren mit einem Roller auf ein geparktes Auto ist ein typisches Fehlverhalten alkoholisierter Fahrzeugführer. Bei einem BAK von 0,97 Promille hat das Bayerischen LSG relative Fahruntüchtigkeit angenommen – Urteil
des  vom 26.03.2008 – L 2 U 456/07.
 

Drogen

Die zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrers entwickelten Grundsätze sind auch heranzuziehen, wenn der Verletzte infolge der Einnahme von anderen berauschend wirkenden Mitteln verkehrsuntüchtig und der Unfall wesentlich allein durch diese Verkehrsuntüchtigkeit bedingt war (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 77).


Amphetamin-Zubereitungen führen zur Fahruntauglichkeit, wenn sich im Blut eine Amphetaminkonzentration in einer Größenordnung befunden hat, bei der eine stark aufputschende und stimulierende Wirkung eintritt. Amphetamin ruft zahlreiche verkehrsrelevante Symptome wie Aggressivität, erhöhte Risikobereitschaft, Realitätsverlust und erhöhte Ablenkbarkeit hervor. Auch Tetrahydrocannabinol beeinträchtigt stark die Fahrtauglichkeit. (Cannabis-Produkte). Bei gleichzeitigem Konsum von Amphetaminen und Cannabis kann sich die Wirkung beider Drogen noch gegenseitig überproportional verstärken.



BSG im Urteil vom 31.01.2007 - B 2 U 23 /05 R: (UVR 12/2007)sozialgerichtsbarkeit.de

Cannabiskonsum kann nur dann als allein rechtlich wesentliche Ursache angesehen werden, wenn ein THC-Wert von mindestens 1 ng/ml festgestellt worden ist und weitere Beweisanzeichen die drogenbedingte Fahruntüchtigkeit - ähnlich wie bei einer relativen Fahruntüchtigkeit mit einer BAK von unter 1,1 Promille - belegen.

Beachte dazu die neue Gesetzgebung: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-pa-verkehr-cannabis-1003426

"Änderung des Straßenverkehrsgesetzes

Durch die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wird ein THC-Grenzwert im Straßenverkehr sowie ein Alkoholverbot für Cannabiskonsumenten eingeführt. 

Der Grenzwert liegt der Neuregelung zufolge künftig bei 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum. Bei erstmaliger Überschreitung droht eine Strafzahlung von 500 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot. "